• Fremd bin ich gekommen

    Ausstellung in 1020 Wien auf dem Fußballkäfig des Rudolf-Bednar-Parks

    Jede Stadt dieser Welt ist durch Zuwanderung entstanden. So auch Wien.

    Im 16. Jahrhundert verglich der Dichter Wolfgang Schmeltzl Wien wegen seines Sprachen­gewirrs mit dem biblischen Babel. Wiens Architektur, die Speisen, die Kunst und die Wissenschaft sind durch die Symbiose von alt und neu, fremd und vertraut entstanden. Heute hat rund die Hälfte aller WienerInnen Migrationshintergrund.

    Wien erlebte immer wieder größere Einwanderungswellen. Als die Sowjets 1956 in Ungarn einmarschierten, flüchteten 180.000 UngarInnen nach Wien. In den 60er Jahren wander­ten rund 265.000 Menschen aus der Türkei und Jugoslawien nach Österreich ein und trugen mit ihrer Arbeit zum österreichischen Konjunkturaufschwung bei. Viele von ihnen ließen sich in Wien nieder. 2015 stellten mehr als 88.000 Menschen, auf der Flucht vor Krieg und Elend, vor allem aus Syrien und Afghanistan, in Österreich einen Asylantrag, 2020 waren es 14.192.

    Und doch nimmt die Ausländerfeindlichkeit in Österreich sowohl in den Medien als auch in der Politik einen immer hetzerischeren Ton an. Eine besorgniserregende Entwicklung ist im Gang: jede Gräueltat der Geschichtet hat mit der Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungs­gruppen begonnen. Im Zweiten Weltkrieg hat das zu dem Mord an sechs Millionen Juden und Roma geführt. Hier in der Leopoldstadt haben 60.000 Juden und Jüdinnen gelebt. Sie sind damals vertrieben oder ermordet worden.

    Um die Rechte von Schutzsuchenden zu wahren, hat die Staatengemeinschaft 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention beschlossen. Heute ist das Leben der klügsten und mutigs­ten AfghanInnen, die sich für die Entwicklung ihres Landes eingesetzt haben, gefährdet.

    Ich lade Sie ein: lernen wir die sogenannten Fremden, die alten und die neuen, in unserem Bezirk kennen. Tragen wir dazu bei, dass Wien eine lebendige, freie und sich weiter entwickelnde Stadt bleibt. Lassen wir uns nicht verhetzen.

    Aleksandra Pawloff

  • ABIR ALSHAHAD, Chefköchin

    Ich bin in Idlib, Syrien mit meinen vier Schwestern aufgewachsen. Mit 17 habe ich geheiratet und zehn Jahre lang im Autohandel meines Mannes und im Restaurant meines Onkels gearbeitet. Als der Krieg begonnen hat, ist mein Mann nach Österreich geflohen.Wir hatten ein schönes Leben, Arbeit, Geld und Häuser mit Gärten. Die ganze Familie hat miteinander gegessen, oft auch mit den Nachbarn. Jetzt sind alle Beziehungen zerrissen, die Häuser kaputt. Unter Assad gibt es kein Leben mehr. Im Mai 2015 bin ich zu Fuß über die Berge in die Türkei gegangen. Es war Nacht, ich hatte große Angst, die Soldaten haben immer wieder geschossen. Am 8.01.2016 habe ich im österreichi­schen Konsulat in Ankara meine Einreisepapiere bekommen. Ich bin in Wien zu meinem Mann gezogen, habe Deutschkurse gemacht und bin nach einem Monat Praktikum im Habibi angestellt worden. Zum Glück habe ich in der Arbeit viele nette Menschen kennen gelernt, jetzt kann ich wieder reden und lachen. In Österreich gibt es freundliche und hilfsbereite Menschen aber es ist nicht alles gut. Manchmal werde ich wegen meines Kopftuchs von Fremden gerempelt oder beschimpft, dass ich nur den Staat ausnützen will. Aber ich bin wegen des Krieges hier, ich arbeite gerne und will niemandem etwas wegnehmen. Ich wünsche allen ÖsterreicherInnen von Herzen Reichtum und Gesundheit und dass sie nie Krieg erleben müssen. Drei meiner Schwestern leben noch in Syrien. Jeden Monat schicke ich ihnen Geld. Ich wäre gerne reich, um Menschen in Not und im Krieg zu helfen. Das würde mich glücklich machen.

  • ALESSIA FELLI, Anästhesistin

    Ich bin in Rom geboren. Nach einem Autounfall, bei dem zwei Familienmitglieder gestorben sind und ich schwer verletzt worden bin, habe ich beschlossen Ärztin zu werden. Nach meinem Studium bin ich für das letzte Jahr der Facharztausbildung im Winter 2004 mit zwei Kolleginnen nach Wien gekommen. Damals ist es eisig gewesen und so viel stiller als in Rom. Alles ist mir wie in Watte verpackt und fern vorgekommen. Im Schnee zur Oper zu gehen, ist irreal schön gewesen. Ich fand das Leben sehr gut organisiert, aber die Menschen unpersönlicher als bei uns. Wir Italienerinnen haben dann jede Woche unsere österreichischen KollegInnen eingeladen, mit uns etwas zu unter­nehmen. Ich habe dadurch schnell Deutsch gelernt, was mir geholfen hat, selbstständig als Anästhesistin zu arbeiten. Was mir in Wien so gefällt ist die Internationalität. Die Stadt wirkt manchmal kalt und konservativ, aber beim genauen Hinsehen entpuppt sie sich als Zauber­schachtel mit den historischen und kulturellen Einflüssen der Länder der Habsburg Monarchie, des Judentums, der slawischen und auch asiatisch-arabischen Kulturen. Nach der Ausbildung bin ich als Anästhesistin eine Zeitlang zwischen Wien und Rom gependelt. Das war die schönste Zeit meines Lebens, aber irgendwann habe ich nicht mehr gewusst, wohin ich gehöre. 2008 habe ich meinen österreichischen Mann kennengelernt und habe mich für Wien entschieden. Ich lebe gerne hier, aber das Spontane und Herzliche fehlt mir und ich gehöre immer noch nicht ganz hierher.

  • ANTON BETNEV, Tanzlehrer

    Ich bin in Sibirien am Baikalsee geboren und habe in Moskau Betriebswirtschaftslehre studiert. Die Metropole hat mich schockiert, ich bin mit den vielen Menschen im Konkurrenzmodus und ihrer verschlossenen Mentalität schlecht zurecht gekommen. Bei uns in Sibirien sind die Menschen freundlich und hilfsbereit. Seitdem ich fünf Jahre alt bin, tanze ich. Nach dem Studium habe ich auf der Tanzpartnerbörse Angebote aus dem Ausland bekommen. Ich war 22 Jahre alt, als ich 2013 zu Anja Sturmmann und ihrer Familie in die Steiermark gezogen bin. Ich war froh, wieder am Land zu leben und ihre Familie hat mich unterstützt. Nachdem Anja aufgehört hat, bin ich zu einer neuen Partnerin nach Wien gezogen. Auch diese Gastfamilie ist sehr nett gewesen, sie haben mit mir Deutsch gelernt und mir gezeigt wie das Leben hier funktioniert. 2016 haben wir den sechsten Platz bei der österreichischen Staatsmeisterschaft gemacht und sind in den Nationalkader ge­kommen. Ich habe ein Künstlervisum bekommen und konnte endlich als Tanzsporttrainer und Tanzlehrer Geld verdienen. In der Tanzschule habe ich meinen österreichischen Lebensgefährten kennen gelernt. Er hat gleich sehr offen über unsere Beziehung gesprochen. Zuerst bin ich erschrocken, aber ich habe gelernt, dass das hier kein Problem ist. Meine Heimat ist dort, wo ich mich wohl fühle und akzeptiert werde, wie ich bin. Als ich das letzte Mal im Jänner 2021 in Moskau gewesen bin, habe ich mich gefühlt wie ein Gast.

  • Claudia Augustat, Museumskuratorin

    Ich bin in Linz geboren. Mein persischer Vater hat in Österreich studiert und als Khomeini im Iran an die Macht kam, ist er zuerst in die USA und dann zu uns nach Österreich geflüchtet. Schon als kleines Kind bin ich als anders definiert worden, das hat mich in der Pubertät extrem verunsichert. Für das Umfeld meines Vaters war ich zu wenig persisch und zu wenig österreichisch für die anderen. Durch mein Kunststudium in Wien habe ich zum ersten Mal für mich selber herausfinden können, wer die, der oder das andere in mir ist. 2005 bin ich mit 19 Jahren zum ersten Mal im Iran gewesen. Es ist mir vieles vertraut vorgekommen. Gleichzeitig ist es sehr bedrückend gewesen, Menschen aus der eigenen Familie kennen zu lernen, die ihre Träume und Talente aufgrund des repressiven Regimes nicht verfolgen können. In Teheran müssen FilmstudentInnen ihre Filme im Geheimen drehen. Meine Cousine hat Physik studiert, sie hätte einen Lehrauftrag in Schweden bekommen doch sie durfte nicht ausreisen. Durch meine Herkunft sind meine Koordinaten flexibler, ich denke nicht in Schubladen und forsche lieber anstatt Antworten zu finden. Das hat mir den Weg zur Psychoanalyse geöffnet, denn da wird die eigene Identität immer wieder neu verhandelt. In diesem Zwischenraum kann Kreativität, Kommunikation und Empathie frei fließen. Die menschenverachtende Politik bei uns zerstört diese Begegnungsräume durch Feindbilder.

  • ARMON REZAI, Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

    Ich komme aus der Wiener Vorstadt. Mein Vater ist im Iran und meine Mutter in der Steiermark geboren. Ich habe den Namen und das Aussehen eines Ausländers aber sobald ich den Mund aufmache, ist klar, dass ich Österreicher bin. Vielleicht war mir deswegen Sprache immer wichtig. Erst in meinen Zwanzigern habe ich erkannt, dass Menschen mir durch mein Äußeres Attribute zuschreiben, die mit meiner Person wenig zu tun haben. Weh tut es, wenn Freunde darüber Witze machen. Ich habe Volkswirtschaft studiert und bin mit einem Fulbright Stipendium sechs Jahre für mein Doktorat und Forschungsarbeiten in die USA gegangen. Dort bin ich seltener gefragt worden, woher ich stamme. Wie man sich kleidet oder sein Leben gestaltet ist dort so irrelevant wie die Herkunft. Diese Selbstverständlichkeit fehlt mir hier. Beruflich bin ich oft im Ausland. Ich fahre gerne weg und komme gerne zurück. Meine Vergangen­heit und die vielen schönen Erinnerungen machen mir Österreich zur Heimat. Aber auch die sozial­politischen Errungenschaften, die Rücksicht auf Schwächere, der respektvolle Umgang miteinander und die Schönheit des Landes. Vielleicht liebe ich Österreich ein bisschen zu sehr und werde hin und wieder von der Realität enttäuscht; dieses Nicht-über-den-Tellerrand-Schauen, die Wir-sind-wir Mentalität und der Mangel an Offenheit. Dabei steht Österreich sozial, kulturell und ökonomisch so gut da und könnte sich ruhig ein bisschen Lust auf Neues erlauben.

  • CHRISTOPH DUPONT-BAGGIO, Historiker und Französischlehrer

    Ich bin in einem Vorort von Paris aufgewachsen. Mein Vater ist Franzose, meine Mutter Italienerin. Man hat mir immer zu verstehen gegeben, dass ich der Sohn von Einwanderern bin. Den Franzosen gegenüber habe ich dennoch nie einen Minderwertigkeitskomplex gehabt. Im Gegenteil, je älter ich geworden bin, desto stolzer bin ich auf meine gemischte Herkunft und meinen Freundeskreis. Meine Freunde kommen aus Algerien, Marokko, Tunesien, Kamerun und Senegal. Wir haben eine gemeinsame Sprache, die eine Mischung aus Französisch, Arabisch und Kabyl ist. Wir haben immer wieder unter Rassismus gelitten aber in unserer Gruppe unvorstellbar rassistische Witze gegen unsere eigenen Herkunftsländer gemacht. Das ist unsere Art zu zeigen, dass wir Freunde darüber stehen und uns das leisten können. Im Gegensatz zu den politisch Korrekten, die womöglich im Herzen rassistisch sind. Ich verstehe heute Gewalttaten von diskriminierten Menschen als Verzweiflungstaten und verurteile sie nicht, auch wenn ich denke, dass man in den wenigsten Fällen damit etwas erreicht. Vor vier Jahren bin ich mit meiner österreichischen Freundin nach Wien gezogen. Ich liebe diese Stadt. Sie ist zart und freundlich, chaotisch und lebendig. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir vorstellen kann, dauerhaft an einem Ort zu bleiben. Hier finde ich Bewegung und Ruhe. Ich bin ein Erdenbewohner, jetzt ist mein Zuhause hier, wenn meine Freunde aus Frankreich kommen, lieben sie es auch.

  • ELLA BABAEV, Unternehmerin

    Ich stamme aus Tadschikistan und bin als Sechsjährige mit meiner Familie nach Israel emigriert. Als wir dort gelebt haben, ist am Markt eine Bombe explodiert und der Freund meines Vaters ist neben ihm gestorben. Meine Eltern wollten wieder heim, aber es gab kein zurück in die Sowjet­union. Also sind wir 1980 an unserem Zwischenstopp in Wien sesshaft geworden. Meine Mutter ist putzen gegangen, mein Vater hat im Kaufhaus gearbeitet. Der berufliche Abstieg und das neuerlich Anpassen ist für meine Eltern sehr belastend gewesen. Damals hat man die Staatsbürgerschaft leichter bekommen und sie haben sich mit einem Fischgeschäft selbstständig gemacht. Wir Kinder mussten auf den Haushalt schauen und konnten uns finanziell wenig leisten. Das hat den Zusammenhalt in der Familie noch mehr gestärkt. Mit 18 Jahren habe ich geheiratet, Zwillinge bekommen und viele Jahre als leitenden Angestellte in einer auf Fische spezialisierten Lebens­mittel­kette gearbeitet. Meine später geborene Tochter ist ein Kind mit besonderen Bedürfnissen. Um sie besser zu verstehen, habe ich eine Ausbildung zum Integrationscoach gemacht. Das hat mein gesamtes Weltbild geändert. Ich verstehe besser, warum andere Menschen so sind wie sie sind und bin fremden Kulturen gegenüber toleranter und verständnisvoller geworden. Wir selber leben kosher, aber im Grunde sind alle Menschen gleich. Mehr Verständnis und Kommunikation und weniger Trennung in Kategorien würde die Welt um ein Stück friedlicher machen.

  • FELAT DILJIN, Student, Verkäufer, Fotograf

    Ich bin in der kurdischen Stadt Batman in der Türkei geboren. Meine Familie ist seit den 90er Jahren politisch engagiert. As mein Onkel von der Hisbollah erschossen wurde, sind wir nach Istanbul geflüchtet. Ich wollte studieren, dazu hat das Geld nicht gereicht und ich habe mit meinem Vater einen Installateurbetrieb aufgemacht. Unser Geschäft ist zu einem kurdischen Versamm­lungs­ort geworden, wo ich Nachrichten und Gedichte vorgelesen habe. 1994 bin ich als 15 Jähriger für sechs Jahre ins Gefängnis gekommen, weil ich gegen die Gefangennahme von Abdullah Öcalan, protestiert habe. 2004 bin ich freigekommen. Die ersten Tage habe ich kein Wort herausgebracht. Die Disziplin und die Ideologie, die mir im Gefängnis Halt gegeben haben, sind weggebrochen. Ich wollte Fotografie und Film studieren, aber dazu hätte ich vorher den Militärdienst machen müssen. Das kam für mich nicht in Frage und ich bin vor acht Jahren nach Wien gezogen. Deutsch zu lernen und Arbeit zu finden ist nicht leicht gewesen. Zum Glück kann ich mich gut motivieren, auch wenn ich im Gefängnis melancholisch geworden bin. Wenn du so eine Erfahrung ohne Verbitterung überstehst, macht es dich zielstrebiger und gleichzeitig verletzbarer. Ich denke über vieles nach, über mein Schicksal, über die Probleme in der Gesellschaft. Jeder macht Fehler aber ich bin für meine Entscheidungen selber verantwortlich. Ich schreibe und fotografiere viel. Tolstoi sagt, man muss erst etwas erfahren haben im Leben, um erschaffen zu können. Langsam bin ich soweit.

  • HANS MEULENBROEK, Berater für Trink- und Abwasserreinigung in Entwicklungsländern

    Ich stamme aus den Niederlanden und bin als Kleinkind mit meinen Eltern nach Österreich über­siedelt. Die anderen Kinder, die Institutionen und die Bürokratie haben mir immer wieder gezeigt, dass ich kein Österreicher bin, obwohl ich mich als solcher gefühlt habe. Seit meinem Studium bin ich als Berater unterwegs, 40 Jahre in China, in Asien, in arabischen Ländern und in den Subsahara Ländern Afrikas. Dazwischen bin ich nach Österreich gependelt. Woanders ist es anders, weil die Bedingungen andere sind. Die eigenen Werte verlieren im Ausland an Gültigkeit, dadurch kann ich sie kritisch hinterfragen. In den vergangenen drei Jahren war ich viel in Afghanistan und habe dort integre und ehrliche Menschen kennengelernt. Es tut mir weh zu sehen, dass die Medien nur über diejenigen berichten, die sich bei uns etwas zuschulden kommen lassen. Ich bin der Meinung, dass wir eine Verpflichtung haben, uns mit den Ländern auseinander zu setzen, in denen wir invol­viert sind. Wir können nicht Waffen exportieren und dann sagen, der Krieg dort und die Flüchten­­- den gehen uns nichts an. Zuhause fühle ich mich unter Freunden. Das ist weder ortsbe­zogen noch hat es mit deren Nationalität zu tun. Ich schaue gerne Fußball, aber ich halte nicht zu einer Nation. Wir definieren uns über Länder, aber das sind nur Haltegriffe die nicht dazu beitragen, die Armut oder die Klimakatastrophe zu beheben.

  • KERAR AL NAIMI, Friseur

    Mein Vater ist Friseur und meine vier Brüder und ich sind praktisch in seinem Salon in Bagdad aufgewachsen und alle Friseure geworden. Im Irak darf man keine langen Haare tragen, keinen Alkohol trinken, keine Beziehungen führen. Sie sagen, dass wir frei sind, aber das stimmt nicht. Deshalb bin ich 2010 mit 15 Jahren nach Syrien gegangen. Ein Jahr habe ich dort verbracht und als Friseur gearbeitet. Ich wäre gerne in der Nähe meiner Familie geblieben, aber 2011 hat der Krieg begonnen und ich bin in die Türkei geflüchtet. Ich war 16 Jahre alt, habe gearbeitet und habe oft Ärger mit türkischen Jugendbanden gehabt. Beim sechsten Versuch habe ich es geschafft, mit dem Boot in der Nacht über das Meer nach Griechenland zu kommen. Einmal sind wir gekentert aber Gott sei Dank gerettet worden. Von Griechenland bin ich acht Wochen in Bussen und zu Fuß nach Österreich gereist. Vier Monate habe ich in einem Flüchtlingsheim verbracht, danach habe ich im 22. Bezirk als Friseur angefangen. Ende 2018 habe ich meinen Salon im 2. Bezirk eröffnet. Ich plane mein Leben. In Österreich bin ich frei. Dieses Land hat viel für mich getan. Ich habe in den ersten Monaten Essen, eine Unterkunft und Taschengeld bekommen. Das werde ich nicht vergessen. Österreich ist meine Heimat geworden. Die Religion im Irak ist zu wichtig, zu hart, zu stark und und zu sehr mit der Politik vermischt. Offene und intelligente Menschen können dort nicht leben. Ich bin sogar einmal wegen meiner Frisur und meines Tattoos verhaftet worden. Das hat alles wenig mit Gott zu tun, es ist nur ein Vorwand zur Unterdrückung.

  • LAILA, Verkäuferin in einer Greisslerei

    Ich bin in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren und mit acht Jahren mit meiner Familie nach Russland gezogen, weil mein Vater dort gearbeitet hat. Als ich 20 Jahre alt war, sind wir heimgekehrt, als unverheiratete Frau bin ich bei der Familie geblieben. Arbeiten war damals für eine Frau schwierig. Das ist schmerzhaft gewesen für mich, ich bin ausgebildete Friseurin und bin 200 Jahre in der Zeit zurück gereist. Nach vier Jahren hat meine Familie 2007 einen Ehemann für mich ausgesucht. Er hat in Österreich gelebt, er war schön und freundlich. In Wien ist es anfangs sehr langweilig gewesen, ich hatte keine Familie, es gab kaum Menschen auf der Straße und ich war immer alleine zuhause. Mein Mann war ein guter Vater, leider ist er psychisch krank und hat angefangen mich schlecht zu behandeln. Ich habe Angst gehabt und meine Rechte nicht gekannt. Als ich mit meinem dritten Kind schwanger war, musste ich mich von ihm trennen. Seit drei Jahren arbeite ich hier im Salon, das macht mir Freude. Später möchte ich Kindergartenpädagogin werden. Mit meinen drei Söhnen spreche ich Paschtu, wir hören afghanische Musik und leben als Moslems. Was Frauenrechte und Gewaltlosigkeit betrifft, wachsen sie als Österreicher auf. Vor 40 Jahren konnten sich die Frauen in Afghanistan aussuchen, wen sie heiraten, was sie arbeiten oder ob sie Kopftuch tragen. Seitdem herrscht Krieg, es geht ums nackte Überleben. Viele AfghanInnen haben große Talente aber keine Möglichkeit sie zu entwickeln.

  • CMAHDI YOUSEFI, Driver Captain bei einem Fahrradbotendienst

    Ich bin in Teheran geboren, meine Eltern stammen aus Afghanistan. Mein Vater hat immer viel gearbeitet und Geld für den Schulbesuch meiner Schwester und mir gespart. Doch im Iran gibt es keine Zukunft für uns Afghanen. Mit 14 bin ich alleine in die Türkei gegangen, aber die Tränen meiner Mutter haben mich zurückgeholt. Erst 2011 hat sie mich gehen lassen. Ich habe zweieinhalb Jahre gebraucht, um herzukommen. In der Türkei und in Bulgarien war ich monatelang im Gefängnis, weil uns die Grenzpolizei aufgegriffen hat. Sie waren brutal, dabei waren wir nur Jugendliche auf dem Weg in ein besseres Leben, keine Verbrecher. 2013 bin ich nach Österreich gekommen und habe in Traiskirchen in der Polizeikantine gearbeitet. Die Polizisten waren sehr nett zu mir und haben mir jeden Tag Essen mitgegeben. 2015 habe ich den Pflichtschulabschluss gemacht. Ich arbeite im Lieferservice, das ist gut, ich bin angestellt, meine Chefin ist nett und ich kann die 3500 Dollar, die ich mir für die Flucht ausgeborgt habe, zurückzahlen. 2015 sind meine Schwester und meine Mutter nachgekommen. Meine Schwester arbeitet als Kindergärtnerin und Taekwondo Trainerin und ich wohne mit meiner Mutter, das ist schön. Wenn ich Bilder aus Afghanistan sehe, kann ich nicht anders als weinen. Meine Cousinen sind in Kabul. Warum bin ich hier? Niemand will flüchten. Wenn der Krieg vorbei ist, möchte ich zurück nach Afghanistan und dort leben. Ich werde helfen, mein Land wieder aufzubauen.

  • MARIA BAUER, Studentin der Agrar- und Nutztierwissenschaften

    Ich bin in Ulm aufgewachsen und habe nach dem Abitur vier Jahre lang als Rettungssanitäterin gearbeitet. Ich habe das Leben neu kennengelernt. Die Arbeit unter schwierigen Bedingungen mit Schichten von zwölf Stunden schweißt zusammen. Nach einer privat schwierigen Zeit habe ich beschlossen, nach Wien zu gehen. Die Stadt ist wunderschön und die Universität für Bodenkultur hat einen Fokus auf Nachhaltigkeit und Ökologie, der mir sehr wichtig ist. Ich habe hier mein Leben neu gestalten können, gleichzeitig bin ich auch sehr einsam gewesen. Die Großstadt ist zwar offen, aber auch anonym, wenn es um ernste Gefühle geht. Mir scheint, in Wien sind alle Nicht­wiener Ausländer. Ich als Deutsche sowieso aber einem Kärntner geht es auch nicht anders. Wobei diese Art der Ausgrenzung eher ermüdend als bedrohlich ist. Ich habe eine Weile am Gürtel gewohnt und mitgekriegt, wie die Polizei bei Razzien prinzipiell alle Schwarzen mitgenommen hat. Das ist dann eine andere Kategorie. Durch mein Interesse für Tierethik bin ich draufgekommen, dass die zwischenmenschlichen Grenzen nach Herkunft, Alter, sexueller Orientierung oder Geschlecht nicht wirklich definierbar und schon gar nicht hilfreich sind. Es ist ja nicht einmal die Grenze zwischen Tier und Mensch eine klare. Ich möchte dazu beitragen, diese Grenzen aufzulösen und zu mehr Wertschätzung allen und jedem gegenüber beitragen. Ich weiß noch nicht wie, aber mein Weg wird mich hinführen.

  • MARYAM YEGANEHFAR, Event und interior Designerin

    Meine Eltern haben beide in Wien Medizin studiert. Ich bin in Teheran geboren und als Khomeini an die Macht kam, sind wir 1979 zurück nach Österreich gezogen. Ich bin mit dem Schmerz meiner Mutter aufgewachsen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit 18 von einem Besuch in Teheran ins Flugzeug gestiegen bin, mir mit Erleichterung das Kopftuch vom Kopf gerissen und gleichzeitig bitterlich über den Abschied vom Iran geweint habe. Ich würde mich nie als Österreicherin bezeich­nen, ich bin Perserin. Zuhause ist ein schwieriger Begriff, Österreich ist es nicht. Mit 18 Jahren habe ich mein Zuhause in Los Angeles gefunden, weil ich mich dort zum ersten Mal in meiner Fremdheit respektiert gefühlt habe. Nach dem 11. September bin ich durch meinen Geburtsort zum Staatsfeind geworden. Ich habe ein Jahr lang versucht zurück zu kehren, dann habe ich mir in Wien einen Job gesucht. Wien hat sich physisch wie auch geistig eng angefühlt. Jeder hat mir von der Selbst­ständigkeit aus Furcht vor Unsicherheit abgeraten. Das Herausge­rissen­werden aus meiner Heimat auf der Suche nach Freiheit, die Flucht vor dem Kopftuch und dem opressiven System ist ein Teil meines Lebens. Als dunklerer asiatischer Mensch fühle ich mich durch den allgemeine Rechtsdruck bedroht. Rechtsruck hat nie mit weißen Menschen zu tun, er richtet sich immer gegen das Fremde. Hier geht man davon aus, dass ich nicht Deutsch sprechen kann. Wenn meine kleine Tochter einmal erwachsen ist, wird es hoffentlich für sie leichter sein.

  • MILENA CVETIC, Obst- und Gemüsehändlerin

    Ich stamme aus Serbien, wo ich die Handelsmatura abgeschlossen habe. Wir haben in Jugoslawien ein schönes Leben gehabt, meine Eltern haben gut verdient, durch den Krieg ist alles kaputt gegangen. Nach vier Monaten im Kriegsdienst, haben mein Mann und ich beschlossen nach Wien zu gehen. Der Anfang in Wien ist ein Schock gewesen. Wir haben mit meiner Schwiegermutter in einer winzigen Wohnung ohne Bad gewohnt und ich habe die Sprache nicht gesprochen. Ich wollte von Anfang an arbeiten, leider habe ich mein Diplom nicht nostrifizieren können und habe dann jahrelang in einem Restaurant und in einem Pflegeheim gearbeitet. Nach der Geburt unseres Sohnes haben wir einen Stand am Markt gekauft. Ich bin ein kontaktfreudiger Mensch und bin hier die beste Verkäuferin und Beraterin. Unser Beruf ist hart, ich stehe jeden Tag um 3:45 auf und bin von 5:30 bis 18h im Geschäft. Mein bester Freund ist Italiener. Mir ist es egal, woher jemand kommt und welche Hautfarbe er hat. Ein guter Mensch ist ein guter Mensch. Meine Freundin ist Muslimin und feiert unsere orthodoxen Feste mit mit. Meiner Meinung nach gibt es nur einen Gott und verschiedene Religionen. Ich habe die Bibel und den Koran gelesen, da stehen ähnliche Sachen drinnen. Der gute Mensch kommt in den Himmel. Österreich ist meine Heimat, hier lebe ich schon länger als in Serbien, aber wenn ich meine Familie dort besuche, ist es noch immer ein Heim­fahren. Ich bin zufrieden, ich habe eine schönes Leben und sage „Danke Österreich!“.

  • NGUYEN THI HANH, Geschäftsführerin von Treviet

    Ich bin in Vietnam geboren und aufgewachsen. Nach der Schule habe ich Wirtschaft studiert und danach ein Kaffeehaus eröffnet. Ich mag es, neue Menschen kennen zu lernen. Dann habe ich meinen Mann getroffen und habe ihn nach China und Dubai begleitet. Als unser Sohn sechs Jahre alt war, haben wir beschlossen, nach Wien zu ziehen, wo mein Mann aufgewachsen ist, damit unser Sohn hier in die Schule gehen kann. Obwohl ich mit einem Österreicher verheiratet bin, habe ich wegen des Visums alle drei Monate ausreisen müssen. Unser Sohn ist in die Volksschule gegangen und mein Mann ist viel auf Reisen gewesen. Wir haben fast aufgegeben, aber es dann doch geschafft. Wien hat mir gut gefallen, aber die Vorgangsweise hat mich enttäuscht. Ich wollte immer schon ein eigenes Restaurant haben und habe am Karmelitermarkt ein Lokal gefunden. Als Ausländerin durfte ich es allerdings nicht kaufen, das hat mein Mann 2019 getan. Ich habe drei Angestellte und das Lokal geht gut, aber es ist viel Arbeit. Wir haben keinen Lagerraum und ich kaufe jeden Tag frisches Gemüse ein. Manche Zutaten wie Reispapier oder bestimmte Kräuter sind schwer zu finden. Ich lebe seit 10 Jahren in Österreich. Heute habe ich mehr Selbstvertrauen, aber für viele Dinge brauche ich meinen Mann, wegen der Sprache, aber auch weil hier alles so anders ist. Ich fühle mich zwar hier zuhause, aber ich vermisse meine Familie, meine Freunde und mein Land. Mein Sohn und mein Mann sind Österreicher, ich bleibe Vietnamesin.

  • OLGA KIRPICHEVA, Bankangestellte

    Ich bin in Perm, Russland, geboren, habe Wirtschaft studiert und nie vorgehabt, von dort wegzu­ziehen. Dann habe ich meinen Mann kennen gelernt und bin 2007 mit ihm 1.300 Kilometer nach Moskau gezogen. Von der Kleinstadt in die Metropole. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit mir dort durch die Finger rinnt. 2015 habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr glücklich bin und habe die Bank, in der ich gearbeitet habe um Versetzung gebeten. Wien habe ich mir nicht ausgesucht, ich habe erst später bemerkt, welches Glück ich habe. Bei der Einwanderungsbehörde und der Wohnungs­suche hat mich mein Arbeitgeber total unterstützt, das hat mir den Wechsel leicht gemacht. Ein bisschen habe ich mich hier wie in Perm gefühlt. Nach meiner Anfangseuphorie kam eine Zeit der Einsamkeit. Es ist Herbst gewesen und der starke Wind hat meine Unruhe noch verstärkt. Nach einem halben Jahr habe ich mich verliebt und den österreichischen Freundeskreis meines Lebens­gefährten kennen gelernt. Seitdem fühle ich mich hier mehr zuhause. Ich habe den Schritt nach Wien gemacht und möchte keinen Schritt zurück gehen, deshalb ist es mir wichtig, ÖsterreicherIn­nen kennen zu lernen. Ich vermisse Russland nicht, obwohl es meine Heimat ist, aber Wien ist mein Zuhause. Ich hoffe, Wien hat nichts dagegen. Natürlich vermisse ich meine Familie. Dieses Loch bleibt. Vor Corona ist meine Mutter fast zehn Mal im Jahr zu Besuch gekommen. Sie liebt Wien. So wie ich. Jetzt habe ich endlich die Gelegenheit meine Liebeserklärung öffentlich auszudrücken.

  • YUSUF AGUS KURNIAWAN, Architekt

    Ich bin in Zentral Java, Indonesien geboren. Mein Vater ist Schneider, meine Mutter Hausfrau. Sie haben sehr gespart, damit meine zwei Schwestern und ich studieren können. Ich habe mich für Architektur entschieden. Ich war weder ehrgeizig noch besonders erfolgreich, ich habe als Archi­tekt ein schönes Leben geführt. 2011 habe ich für zwei Österreicher einen Kunstraum gestaltet. 2013 ist meine zukünftige Frau dort Artist in Residence gewesen. Wir haben uns verliebt und geheiratet. In Indonesien heiratet man, wenn man es ernst meint mit einer Beziehung. Als 2015 Stefanie schwanger geworden ist, bin ich zu ihr nach Österreich gezogen und unser Sohn ist auf die Welt gekommen. Die Menschen in Indonesien sind sehr freundlich, schauen einander in die Augen und lächeln. In Wien hat niemand zurück gelächelt und unsere Nachbarn im Haus haben kaum gegrüßt. Das hat mich sehr verwundert. Ich hatte damals weder Sprache noch Freunde. Mein Glück war, dass ich bald angefangen habe, als Modellbauer in einem Architekturbüro zu arbeiten und dort nette und offene Menschen kennengelernt habe. Für mich ist das soziale Leben in Österreich sehr kompliziert. Man muss alles planen und reservieren, es gibt keine spontanen Treffen. Damit muss ich zurecht kommen. Ich vermisse meine Freunde, meine Familie und das Gefühl, immer willkom­men zu sein. 2018 ist unsere Tochter auf die Welt gekommen. In Wien sind meine Familie und meine Arbeit, aber ein Teil meines Herzens bleibt in Indonesien.