• Fremd bin ich gekommen

    Ausstellung in 1040 Wien auf dem Fußballkäfig des Alois-Drasche-Parks

    Ich möchte daran erinnern, dass Wien wie alle Städte dieser Welt durch Zuwanderung entstanden ist und sich durch Zuwanderung weiter entwickelt. Im 16. Jahrhundert verglich der Dichter Wolfgang Schmeltzl Wien wegen seines Sprachen­­gewirrs mit dem biblischen Babel. Wiens Archi­tektur, die Speisen, die Kunst und die Wissen­schaft sind durch die Symbiose von alt und neu, fremd und vertraut entstanden.

    Die Wieden gilt als die älteste Vorstadt Wiens. Der Bezirk verändert sich, wie jede lebendige Stadt. Die Bevölkerung wächst, während die Zahl der Autos abnimmt. Es strömen täglich doppelt so viele Arbeitende in den Bezirk, wie er EinwohnerInnen hat. 32 Prozent der WiednerInnen haben Migrationshintergrund, die meisten stammen aus Deutsch­land, gefolgt von Serbien und Russland.

    Heute hat rund die Hälfte aller WienerInnen Migrations­hinter­grund, das sind weniger als vor 150 Jahren. Wien erlebte immer wieder größere Einwanderungswellen. 1956, nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands durch die Sowjets, flüchteten 180.000 UngarInnen nach Wien. In den 60er Jahren wanderten rund 265.000 Menschen aus der Türkei und Jugo­slawien nach Österreich ein und trugen mit ihrer Arbeit viel zum österreichischen Konjunkturaufschwung bei. Viele von ihnen ließen sich in Wien nieder. Als im Jahr 2015 die erste Flüchtlingswelle aus Syrien und Afghanistan begann, stellten mehr als 88.000 Menschen in Österreich einen Asylantrag, 2018 waren es 13.800.

    Diese Zahl ist im Vergleich zu vergangenen Flüchtlingswellen überschaubar, doch die Ausländerfeindlichkeit nimmt heute sowohl in den Medien als auch in der Politik einen immer hetzerischeren Ton an. Das ist eine bedrohliche Entwicklung, denn die größten Gräueltaten der Geschichte begannen mit der Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen und endeten im Zweiten Weltkrieg mit dem Mord an sechs Millio­nen Juden und Roma. Unter den Opfern und den Tätern waren viele WienerInnen.

    Ich lade Sie ein: lernen wir die sogenannten Fremden, die alten und die neuen, in unserem Bezirk kennen. Helfen wir mit, dass Wien eine lebendige, freie und sich weiter entwickelnde Stadt bleibt. Lassen wir uns nicht verhetzen.

  • AMEL IBRIŠEVIĆ, Revierinspektor

    Als meine Familie 1992 aus Bosnien geflüchtet ist, war ich ein Baby. Meine Großeltern sind nach dem Krieg zurückgegangen. Keiner verlässt freiwillig seine Heimat. Auch die zurückge­bliebenen Toten sind Teil der Familie und für sie ein Grund zur Rückkehr gewesen. Als ich mit sechs Jahren das erste Mal nach Bosnien gefahren bin, bin ich so froh gewesen, dass alle meine Sprache sprechen, dass wir alle zusammen gehören wie eine große Familie. Sprache verbindet, es ist der Schlüssel für alles, auch in meinem Beruf als Polizist hilft sie mir. Sehr oft resultieren Konflikte aus Kommunikationsschwierigkeiten. Die Kinder in der Schule haben sich oft über meinen Namen lustig gemacht, und ich hätte ihn gerne geändert. Aber mein Vater hat gemeint, er habe mir aus meiner Heimat nur meinen Namen und meine Religion mitgeben können und hat es verboten. Ich bin ein moderater praktizierender Moslem und Wien ist meine Heimat. Ich träume auf Deutsch. Meine stärkste Verbindung nach Bosnien ist meine Familie, nicht das Land. Eine Fahne ändert sich leicht einmal, Grenzen verschieben sich ständig, das einzige was bleibt, sind die Menschen.

  • HEIN VAN DER VEEN, Historiker, Anglist und Buchhändler

    Ich bin mit meinen vier Geschwistern in einem Dorf in den Niederlanden aufgewachsen. Der Liebe wegen bin ich früh nach Deutschland gegangen. Unser Freundeskreis ist ein sehr akademischer gewesen, mit vielen Homosexuellen und Künstlern, dort hat meine Herkunft überhaupt keine Rolle gespielt. Für meine Eltern hingegen ist es schwierig gewesen, sie haben die deutsche Besatzung erlebt und haben Angst um mich ausländischen Homosexuellen gehabt. Sie haben an der eigenen Haut erlebt, wie schnell sich ein totalitäres Regime in einem Land breit macht. 2006 bin ich nach Wien gezogen, weil mein Partner hier eine Professur bekommen hat. Das ist für uns beide völliges Neuland gewesen. Unser großes Glück sind unsere Nachbarn gewesen, durch die wir unseren Freundeskreis aufgebaut haben. Unsere Wiener Freunde sind herzlich und offen und ich kann das Klischee des Wiener Grants nicht nachvollziehen. Meine Heimat ist da, wo mein Partner ist, meine Bücher und die paar Sachen um mich herum sind, die mir nach meinem frühen Abschied von den Niederlanden ein ver­trautes Gefühl geben. Mir gefällt das Gesellige in Wien. Das Einkehren und die Heurigen­kultur, die so gut in den Alltag eingebaut wird, empfinde ich als sehr wienerisch.

  • HENDRIKA SCHLOFER, Med. techn. Assistentin, Pensionistin

    Ich habe immer was, aber ich bin nie krank. Das kommt vielleicht durch meine strenge Erziehung. Ich bin als Älteste von sieben Geschwistern in den Niederlanden aufgewachsen. Mein Mann ist Geiger gewesen, ich bin 1967 mit ihm nach Österreich gekommen. Hier hat mich unglaublich erstaunt, dass Schwarze wie Außerirdische angestarrt werden. Den verdeckten Antisemitismus spüre ich bis heute und kann ihn nicht ertragen. Ich bin weißhäutig, groß und spreche Deutsch, ich bin eine Ausländerin „erster Klasse“ und habe hier nie Schwierigkeiten gehabt. Mittlerweile lebe ich zwar seit 52 Jahren in Österreich, aber Heimat habe ich keine, auch nicht in den Niederlanden. Bei Heimat denke ich immer an Volkstänze und Dirndl, das ist nichts Schlechtes aber nicht meins. Österreich ist mit der Zeit weniger klerikal und etwas aufgeschlossener geworden. Ich fühle mich hier zuhause, nur die jetzige Politik geht mir gegen den Strich. Manche Parteien verbreiten Angst vor Menschen mit anderer Hautfarbe oder Religion, nur damit sie gewählt werden und an die Macht kommen. Die Bevölkerung wird belogen. Was täten wir ohne Einwanderer? Unser Personal im Seniorenheim besteht fast zur Gänze aus Ausländern und ich bin sehr froh, dass wir sie haben.

  • HENRY NGO-SYTCHEV, Kursmanager für die diplomatische Akademie Wien

    Das Erste, das mir in Österreich aufgefallen ist, ist die Abneigung gegen die Deutschen. Es ist zum Beispiel egal welche Nation ein Tor gegen sie schießt, in Österreich wird gejubelt. Im Vergleich dazu habe ich es als Schwarzer leichter. Ich bin in Minsk geboren und habe meine ersten 13 Jahre dort verbracht. Meine Mutter ist Russin, mein Vater Kongolese. Weißrussland heißt nicht zufällig „weiß“, ich habe dort täglich schlechte Erfahrungen gemacht. Mit der Zeit habe ich erkannt, dass es ist nicht so sehr Rassismus, sondern Ignoranz und Angst vor dem Unbekannten ist. Als ich 13 Jahre alt gewesen bin, sind wir nach Belgien gezogen. Im Kongo bin ich nie gewesen, ich habe nur die Haut eines Kongolesen und das ist der erste Eindruck, den man vor mir hat. Meine Sprache, meine Gedanken, meine Kultur sind „weiß“. Früher wäre ich gerne weiß gewesen, heute habe ich meine Hautfarbe akzeptiert, auch wenn sie mir das Leben schwerer macht. Sie zwingt mich, besser zu sein als Andere, um gleichwertig behandelt zu werden. Als ich 2017 nach Österreich gekommen bin, habe ich mich fünf Monate lang mit Henry und Heinrich beworben. Alle Interviews und Stellen, die ich bekommen habe, sind unter Heinrich eingelangt. Die Familie meiner Verlobten in Tirol und Oberösterreich hat mich sehr herzlich aufgenommen. Wenn wir heiraten, werde ich meinen Namen behalten, denn sonst hätte ich vergebens gekämpft.

  • ISABELLA GAJCIC, Maskenbildnerinn

    Ich bin in Wien geboren, mein Vater stammt aus Bosnien, meine Mutter aus Serbien. In der Schule habe ich eine Professorin gehabt, die zu allen ausländischstämmigen Schülern unge­recht gewesen ist. Ich fühle mich total als Österreicherin, aber solche Menschen machen mich zur Ausländerin. Abgesehen von diesen Situationen fühle ich mich als Migrantin privilegiert: ich spreche mehrere Sprachen, kenne verschiedene Kulturen und tue mir mit dem Erlernen neuer Sprachen leicht. Zu meiner Familie nach Belgrad fahre ich regelmäßig und nehme oft meine Freunde mit. Die sind total begeistert von der Kultur und der Gastfreund­schaft. In meiner Familie arbeitet jeder als Selbstständiger. Als ich beschlossen habe, freiberufliche Maskenbildnerin zu werden, haben sich meine österreichischen Freundinnen das nicht vor­stellen können. Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse. Einmal hat mich der Vater einer Freundin während eines Streits als „blöder Tschusch“ beschimpft. Das hat mich erschüttert. Ich denke, dass viele Menschen Aggressionen in sich tragen. Die Ausländerkarte zu spielen und sich damit abzureagieren ist halt leicht. Im 21. Bezirk, wo ich aufgewachsen bin, haben meine Bekannten oft schlecht über Ausländer geredet und immer dazu gesagt: „Weißt eh, dich meinen wir nicht.“ Das zeigt eine fast schizophrene Haltung: die, die man kennt akzeptiert man und die anderen lehnt man auf Grund ihrer Herkunft ab.

  • JELENA KUSCHNIR, Geigerin

    Ich bin in Moskau geboren, ich bin Musikerin und habe bis zur Emigration im Radio Symphonie Orchester Moskau gespielt. Unter Breschnew hat Stillstand geherrscht, es hat in keiner Hin­sicht Perspektiven gegeben. Mein Mann und ich sind jüdischer Herkunft, das hat unser Leben noch einmal komplizierter gemacht. Im Februar 1981 sind wir mit einem israelischen Visum nach Österreich emigriert. Wien ist wie ein anderer Planet für mich gewesen, hier hat die Sonne geschienen. Nach wenigen Monaten sind wir ins Bruckner Orchester eingetreten. Wir haben wenig mit Österreichern zu tun gehabt, sondern hauptsächlich mit russischen Emigranten und unseren Kollegen. Musiker sind privilegiert, denn Musik verbindet und ein gutes Orchester ist international besetzt, da ist die Herkunft egal. Ich habe nie negative Erlebnisse gehabt in Österreich, nur zu Beginn unseres Aufenthaltes ist uns geraten worden, unser Jüdischsein nicht an die große Glocke zu hängen. Speziell nicht in Linz. Das habe ich schon aus der Sowjetunion gekannt. Meine Heimat sind die russische Sprache und Literatur, aber Russland hat sich so verändert, ich bin froh, dort nicht mehr leben zu müssen. Nach 38 Jahren ist Wien eindeutig mein Zuhause, auch wenn ich mich nicht ganz als Österreicherin fühlen kann. Ich bin diesem Land sehr dankbar, dass es mich aufgenommen hat und mir die Chance auf ein neues Leben gegeben hat.

  • JOSE M. OZCARIZ EIZAGUIRRE, Praktischer Arzt

    Ich stamme aus St. Sebastian, bin Baske und fühle mich auch als Spanier. Nach dem Studium bin ich nach London gegangen, dort habe ich viele Freunde gehabt und in einer Gruppen­praxis gearbeitet. Ich bin Arzt geworden, weil ich den Kontakt mit Menschen mag und als praktischer Arzt kann ich das ganze Bild des Menschen sehen. Für mich spielen die psychi­schen und sozialen Aspekte in die Gesundheit hinein. In den späten 90er Jahren habe ich mich in meine österreichische Frau verliebt und bin ihr nach Wien gefolgt. Hier lebe ich gerne und habe auch gute Freunde gefunden, obwohl die Österreicher einen nicht willkommen heißen. Ich kann mittlerweile gut Deutsch, aber wegen meines starken Akzents habe ich öfter gesagt bekommen: „WIR machen das hier so.“ Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass Ausländer in den auflagenstärksten Medien, grundsätzlich als verdächtig dargestellt werden, gleichzeitig werden die EU und Europa oft schlecht gemacht. Natürlich gibt es problematische Aspekte, aber ich fühle mich als Europäer und verstehe diese negative Haltung nicht. Erstaunlich finde ich, dass man kaum Menschen mit Migrationshintergrund im Fernsehen sieht, es ist so, als wären sie nicht da, auch in den Serien kommen nur die typischen Wiener vor.

  • KERSTIN HOFFMANN, Geigenmachermeisterin

    Als ich vier Jahre alt gewesen bin, habe ich meinem 14jährigen Bruder die Gitarre wegge­nommen und damit gespielt. Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen und dort auf die Musik­schule gegangen. Danach habe ich eine Lehre bei einem Geigenmachermeister gemacht und sechs Jahre lang in Berlin gearbeitet. Ich habe den Mauerfall miterlebt. Nach dem Einge­sperrt sein habe ich mich plötzlich frei entwickeln können und bin von der Serienproduktion zum echten Handwerk gelangt. Am Anfang habe ich mich als Ostdeutsche im Westen fremd und manchmal alleine gefühlt. In der DDR hat es durch die politische Enge mehr Solidarität untereinander gegeben und ich musste mich erst an die Distanziertheit zwischen den Menschen gewöhnen. 2006 bin ich mit meiner Kollegin nach Wien gezogen, um hier unsere Werkstatt zu eröffnen. Wir gehen viel in Konzerte, hören Instrumente und lassen uns inspirieren. Wien ist Balsam für mich. Ich bin hier von der deutschen Kantigkeit gesundet und fühle mich im persönlichen Umgang mehr wertgeschätzt. Heimat ist die Familie und der Ort, wo ich mich wohlfühle. In Deutschland ist es die Familie, der Streuselkuchen und die Spreewaldgurke. Jetzt ist es Wien, die Menschen und die Lebensart.

  • LORAND ELLEDER, Installateur

    Ich bin als Ungar in Rumänien aufgewachsen. Mit 16 Jahren bin ich als Hilfsarbeiter in die Fabrik gegangen und habe mich dort zum Schlosser hinaufgearbeitet. Wir als Ungarisch sprachige Minderheit sind überwacht und unterdrückt worden. Ich bin einige Male verprügelt worden. Mit 17 Jahren habe ich beschlossen zu flüchten. Zwei Mal bin ich zu Fuß über die grüne Grenze gegangen und jedes Mal im Gefängnis gelandet. Als dann 1989 der eiserne Vorhang gefallen ist, bin ich mit 22 nach Österreich gegangen. Es ist ein total befreiendes Erlebnis gewesen, keine Angst mehr haben zu müssen. Die Österreicher sind nett gewesen zu mir und ich habe sofort Arbeit gesucht. Die Tochter des Flüchtlingsheimbetreibers in Nieder­österreich und ich haben uns ineinander verliebt. Das hat zu großen Auseinander­setzungen geführt und ich habe von dort weg müssen. Mittlerweile sind wir seit 27 Jahren glücklich verheiratet, haben ein Haus gebaut und zwei Kinder groß gezogen. Keine Sekunde habe ich Heimweh gehabt, Österreich ist mein Zuhause. Ich wäre gerne Sprachwissenschaftler geworden, leider hat es in meinem Leben diese Möglichkeit nicht gegeben. Aber ich habe etwas erreicht, das mir sehr wichtig ist: meine Kinder können heute ihr Leben selbst entschei­den und ich kann sie dabei unterstützen. Ich selber bin ab meinem 17. Lebensjahr ganz auf mich alleine gestellt gewesen. Ich weiß, was Flucht und Einsamkeit heißt. Ich habe Verständnis und Mitgefühl mit den Menschen, die heute aus viel schlimmeren Umständen flüchten.

  • MAIKEL JUNE ADAMOS AUTOR BLEYER, Stylist und Fachlehrer

    Ich bin auf den Philippinen auf die Welt gekommen, mein Vater ist Deutscher. Als 14Jähriger sind wir nach Deutschland übersiedelt. Alles ist anders gewesen, die Gerüche, die Luft, die Farben. Ich habe kein Deutsch gesprochen, nur Englisch und Tagalog. In der Pubertät ist man offen für Neues, dadurch habe ich keine Sehnsucht nach meinen Freunden und der Familie gehabt. Nach dem Fachabitur habe ich eine Friseur-, Kosmetik- und Fußpflege- Ausbildung gemacht und nebenbei gearbeitet. Ausbildung ist für mich das Wichtigste gewesen. Danach bin ich nach Berlin und London gegangen. Nach ein paar Jahren ist mir mein Leben in London zu oberflächlich geworden, man ist ständig unterwegs, trifft coole Leute, aber in Wirklichkeit kochen sie auch nur mit Wasser. Alleine auf dem Jakobsweg habe ich eine intuitive Entschei­dung getroffen und bin vor sechs Jahre mit einem Koffer voller Kleidung und einem zweiten voller Werkzeug nach Wien gezogen. Aus diesen zwei Koffern ist mit meinem Lebenspartner Lukas mein schöner Lebensraum hier im vierten Bezirk entstanden. Durch meine berufliche Tätigkeit bin ich in ganz Österreich unterwegs und egal wo ich bin, es sind alle immer herzlich zu mir. Mein Zuhause ist jetzt hier, wo Lukas ist, auch wenn ich meinen Bruder und meine Stiefmutter in Deutschland und meine Familie auf den Philippinen sehr liebe. In Deutschland werde ich als Filipino gesehen, in den Philippinen als Mischling, deshalb definiere ich den Begriff Heimat über mich und meine Beziehungen.

  • MILKA GHAZANI, Chemielaborantin und Änderungsschneiderin

    Ich bin in Bulgarien in einer kleinen Stadt an der Donau auf die Welt gekommen. Meine Eltern sind Elektriker gewesen. Ich habe die HTL für Chemie gemacht und anschließend ein paar Jahre lang in einer Zellulosefabrik gearbeitet. Mein Mann ist Iraner und lebt in Wien, ich bin ihm 1998 gefolgt. Das ist mir nicht leicht gefallen, aber eine Familie zu gründen ist wichtiger als die Herkunftsfamilie. Mein Sohn ist zwei Jahre alt gewesen, als wir nach Wien gezogen sind. Er hat einen Ganztagskindergarten besucht und ich bin auf die Universität gegangen, um besser Deutsch zu lernen. Die ersten zwei Jahre ohne Deutsch sprechen zu können, sind schwer gewesen, auch wenn die Wiener sehr freundlich zu mir gewesen sind. Ich habe mich immer sehr schön angezogen, die Leute hier mögen das und haben mich dann mit „sehr geehrte Dame“ angesprochen. Ich kann schwer sagen, was meine Heimat ist. Vom Herzen her ist es Bulgarien, aber meine Kinder sind hier, mein Mann und meine Arbeit ebenfalls. Wo meine Familie ist, da bleibe ich auch. Hier im Geschäft habe ich viele österreichische Kunden. Sie sind sehr nett zu mir. Die Menschen, die Ausländer nicht mögen, kommen wahrscheinlich nicht zu mir. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen ein gutes Herz für andere haben. Egal woher sie kommen, egal ob sie Afrikaner, Araber oder Bulgaren sind.

  • MIRCEA RADULIAN, Dipl. Ing. für Nachrichtentechnik, Pensionist

    Ich hätte in Rumänien der Familientradition folgend Offizier werden sollen. Aber salutieren und für dumme Befehle danken, liegt mir nicht. Ich bin ehrlich und genau und sage meine Meinung. 1968 bin ich nach Deutschland gegangen, um zu studieren. Ich habe keine sehr guten Noten gehabt, aber für das von mir gebaute multiple Übertragungsgerät für Bild und Text habe ich ein Stipendium und freien Zugang zu den Werkstätten bekommen. Das ist ganz anders als unter dem Kommunismus gewesen. Dort haben nicht Leistung, sondern persönliche Beziehungen gezählt. 1972 hat mich der rumänische Geheimdienst Securitate als Spion verhaftet und zurück nach Rumänien in Untersuchungshaft gebracht. Nach meiner Befreiung bin ich mit meiner Familie nach Österreich geflüchtet, wo ich bis zur Pensionierung als Service-Ingenieur gearbeitet habe. Die Österreicher sind freundlicher als die Deutschen und ich habe keine Schwierigkeiten gehabt. Österreichische Freunde habe ich allerdings auch keine. Mir scheint die Menschen sind primitiver geworden als früher und sie haben schlechtere Manieren. Vielleicht bin ich zu sensibel. Wien ist mein Zuhause, aber obwohl ich schon so lang im Ausland lebe, ist Rumänien nach wie vor meine Heimat. Dort habe ich meinen Vater und meine Mutter begraben. Auch meine Brüder liegen in der Familiengruft. Das ist der Ort, wo ich begraben werden will.

  • MLADEN GAJČIĆ, Stahlbauschlosser, Rohrleitungsmonteur und Taxifahrer

    Ich stamme aus einer kleinen Stadt in Bosnien, meine Eltern sind Landwirte gewesen. Nachdem sie sich getrennt haben, bin ich zu meiner Mutter nach Wien gezogen. Im Sommer habe ich am Bau gearbeitet, dann bin ich auf die Berufsschule für Stahlbau gegangen. Ich habe mich ohne Probleme in Wien integriert und viele österreichische Freunde gehabt. Sie haben meine Sprache ausgebessert und ich habe mich sehr bemüht, nicht als Ausländer aufzufallen. Meine Freundesgruppe hat das möglich gemacht, dort habe ich hingehört und bin nicht verletzbar gewesen. Nach dem Militärdienst in Bosnien habe ich meine Frau kennenge­lernt, eine Serbin, die schon seit ihrem vierten Lebensjahr in Wien ist. 1988 habe ich den Taxischein gemacht, um einem Freund zu helfen und dieses Zusatzein­kommen ist unser Urlaubsgeld gewesen. Ich habe zwei Herzen in mir. In Bosnien fühle ich mich zuhause und gleichzeitig ist Wien mein Zuhause. Hier habe ich viele Freunde und die Kultur ist ähnlich wie bei uns. Ich streite sehr wenig und habe keine Feinde. Wenn du Probleme nicht magst, dann hast du sie auch nicht. Ich kann gut mit den Menschen in Bosnien, Serbien oder Kroatien. Ich passe mich an mein Gegenüber an und bestehe nicht auf mein Anderssein, es findet sich immer ein Thema das verbindet, egal mit wem.

  • NICHOLAS TREADWELL, Galerist, Künstleragent, Entertainer und Kunstsammler

    Ich bin in London auf die Welt gekommen. Mit acht Jahren bin ich ins Internat gegangen, und als ich elf Jahre alt war, ist meine Schwester gestorben. Ich habe früh erlebt, was große Trauer und große Freude ist, vielleicht hat mich das zu einem risikofreudigen Menschen gemacht. Nach ein paar Jahren Kunstverkauf in Europa habe ich mit meiner Frau acht Jahre lang sehr erfolgreich in England „The world’s only mobile art gallery“ betrieben. Wir haben die Kunst zu den Menschen gebracht. Später bin ich mit meinen Freunden „The Tiger Lillies“ in Österreich getourt und habe in Oberösterreich ein Lagerhaus gekauft und zu einer Galerie umfunktio­niert. Ich bin ein freundlicher Mensch, die Österreicher haben mich sofort akzeptiert. Hier lebe ich gerne und ich mag die Österreicher, sie lachen gerne und sind sehr hilfsbereit. Wenn du in England übersiedelst, dann haben plötzlich alle ein Rückenproblem. Businesspläne mache ich keine, ich halte Sicherheit sowieso für ein Produkt der Fantasie. Was habe ich schon zu verlieren? Wahrscheinlich bin ich kein sehr guter Geschäftsmann, auf der anderen Seite kenne ich viele reiche und unglückliche Menschen. Ich lebe gerne inmitten meiner provokativen Kunstsammlung. Sie verbindet mich mit dem Schmerz und der Freude der Welt und macht mich bewusst und ausgeglichen, denn Trauer gehört auch zum Leben. Den Anspruch auf dauernde Harmonie halte ich für verlogen. Rosa trage ich gerne, weil es eine freundliche und friedliche Farbe ist.

  • RUBY WALLEN, Innovationsberaterin

    Ich bin in Christchurch in Neuseeland geboren worden. Es ist ein herrlicher Ort gewesen um aufzuwachsen, die Menschen dort sind offen und freundlich. Wir schließen das Gymnasium nicht mit der Matura ab, sondern machen drei Jahre lang Gruppenarbeiten und Prüfungen, in denen die sozialen und sportlichen Aspekte genauso wichtig sind wie der eigentliche Lehrstoff. Als Student wird einem viel abverlangt, aber auch da gibt es viele soziale Aspekte. Während meines Austauschjahres in Wien bin ich überrascht gewesen, wie strikt und gestresst das Studieren angegangen wird. Ich bin auch fassungslos, dass sich hier neunjährige Kinder zwischen Hauptschule und Gymnasium entscheiden müssen. Österreich hat auf vielen Gebieten tolle Experten, aber sie sind sehr spezialisiert und ich glaube, dass dadurch viele Lösungsansätze sehr eng sind. Das habe ich als Innovationsberaterin in Wien immer wieder beobachtet. Bei uns in Neuseeland werden Probleme eher interdisziplinär angegangen. Wien liebe ich schon alleine wegen der Kultur. Ich mag die österreichischen Traditionen und gehe gerne auf Bälle. Neuseeland ist jung und hat nicht diese kulturelle Vergangenheit zu bieten. Es braucht hier länger als in Neuseeland, um Freundschaft zu schließen. Dort ist das viel oberflächlicher. Am Anfang ist es hart für mich gewesen, aber mittlerweile schätze ich die Direktheit der Österreicher im Gegensatz zur Überfreundlichkeit der Neuseeländer.

  • SAADOUN SAADOUN, Blumenverkäufer bei Blumen Pharao

    Saadoun bedeutet „der Helfer“. Mensch ist Mensch, wenn ich kann, helfe ich. Im Koran steht, dass Allah alles doppelt zurückgibt. In Kairo habe ich Wirtschaft studiert und meine Frau kennen gelernt. Sie ist Wienerin und Lehrerin, aber sie hat Probleme, weil sie ein Kopftuch trägt. Ich lebe seit 18 Jahren in Wien, ich bin Österreicher und gleichzeitig Gast. In Ägypten bin ich mittlerweile Ausländer. Ich bleibe sogar bei den roten Ampeln stehen. Die Politiker hier fokussieren sich auf das Ausländerthema, aber je mehr gehetzt wird, umso mehr bekommen alle Angst und werden unglücklich. Das führt dazu, dass Ausländer sich weniger integrieren und mehr zusammen halten. Ich bin ein Moslem und feiere Ostern und Weihnachten mit meinen Kindern. Für mich kommen alle Religionen von einem Gott. Österreich ist besser für den Körper, Ägypten für das Herz. Wenn es brennt, kommt die Feuerwehr zwar zu spät, dafür sind alle Nachbarn da und helfen. Als Ausländer bin ich noch nie schlecht behandelt worden und ich mag Österreich so sehr wie Ägypten. Ich zahle auch gerne meine Abgaben, denn meine Kinder gehen umsonst in die Schule, Spitäler und Straßen funktionieren. Ägypten bleibt meine Herzensheimat, aber wenn hier etwas Schlimmes passiert, gehe ich sofort zum Bundesheer und helfe. Demokratie heißt, auf die Mitmenschen aufzupassen und sie zu akzeptieren. Egal, ob jemand eine Schale auf dem Kopf oder ein Kopftuch trägt.

  • SABINE SEIDLER, Werkstoffwissenschaftlerin, Rektorin der Technischen Universität Wien

    Ich bin in der DDR aufgewachsen und Technik hat sich als mein Traumstudium herausgestellt. Nach einigen Jahren Forschung und Lehre an den Universitäten in Merseburg und Halle- Wittenberg bin ich 1991 mit meiner Familie nach Westdeutschland gezogen. Der Univers­itäts­betrieb dort war für mich gewöhnungsbedürftig. In der DDR haben wir kein Geld gehabt und jedes Ersatzteil ist aufgehoben, repariert oder selber gebastelt worden, dadurch waren wir alle aufeinander angewiesen und es hat wenig Hierarchie gegeben. Hierarchie an der Universität verhindert Kreativität und schafft Distanz. Ich kann heute noch nicht verstehen, dass sich manche Menschen nicht in mein Rektorinnenbüro trauen. 1996 bin ich nach Österreich gekommen, das ist ein kleiner Kulturschock gewesen. Man glaubt, dass es wegen der gemein­samen Sprache keine Probleme geben würde, aber die Menschen sind anders. Wenn zu mir jemand „Gnä´ Frau“ gesagt hat, habe ich gedacht, er muss meine Mutter meinen. Unange­nehm ist es jedoch nicht gewesen. Meine Töchter habe ich dazu erzogen, Dinge zu hinter­- ­fragen. Das ist nicht sehr österreichisch und ist ihnen in der Schule ab und an nicht gut bekommen. Und erst als ich alle Nachbarn im Wohnort zu uns eingeladen habe, haben sie realisiert, dass wir ganz normale Leute sind. Mittlerweile lebe ich seit 23 Jahren hier und Österreich ist mir Heimat und Zuhause geworden.

  • SEON-YOUNG RANG, Internal Communication Expert

    Ich bin im 23. Bezirk aufgewachsen, meine Eltern stammen aus Südkorea und sind vor 45 Jahren nach Wien emigriert. Meine Mutter kommt aus einer armen Familie und hat als beste Krankenschwester ihres Jahrgangs ein Stipendium nach Wien bekommen. Im Konfuzianismus strebt der Mensch nach ständiger Verbesserung. So bin ich aufgezogen worden, extrem leistungsorientiert. Eine Zwei auf die Schularbeit ist eine Kapitalkatastrophe gewesen. Durch mein Aussehen machen sich Menschen eine bestimmte Vorstellung von mir. Niemand denkt, dass ich die gleichen Wünsche, Sorgen und Ziele habe wie eine Österreicherin. Ich behaupte mittlerweile, kein asiatisches Essen zu mögen, um nicht als die typische Asiatin abgestempelt zu werden, die es sowieso nicht gibt. Während der Sommerferien habe ich jedes Jahr sechs Wochen in Korea verbracht und bin dort zur Schule gegangen. Bis zur Hälfte meiner Heimreise habe ich bitterlich geweint. Dann habe ich mich daran erinnert, dass ich nach Hause fliege und mich beruhigt. Wenn Korea nicht so weit weg wäre, würde ich am liebsten jede Woche hin­fahren, schon alleine wegen meiner Familie und des technologischen Fortschritts. Ich bin von klein auf davon überzeugt, dass man als Migrantin nicht erfolgreich ist, obwohl man eine ist, sondern weil man eine ist. Denn ich wäre nicht der Mensch, der ich bin ohne meine Herkunft und meine Geschichte.

  • SIMON DANHO, Inhaber der Eisenwarenhandlung „Goldene Kugel“

    Ich bin Aramäer, Syrisch-Orthodoxer Christ und komme aus dem Osten der Türkei. Als ich zwölf Jahre alt gewesen bin, sind wir mit meiner Mutter und meinem Bruder nach Wien zu meinem Vater übersiedelt. Fremd zu sein ist für uns nichts Neues gewesen, denn als Aramäer und Christen sind wir in der Türkei schon lange Ausländer im eigenen Land. In Wien bin ich natürlich auch ein Außenseiter gewesen und spüre heute noch eine Unsicherheit in mir, weil unser Volk auf dieser Welt nicht willkommen ist. Das Gefühl, ein Fremder zu sein, hat nie aufgehört, dabei würde ich mich gerne als Österreicher fühlen – als Österreicher mit aramäi­schen Wurzeln. Gott hat eine Welt für alle Menschen geschaffen, wieso gehen wir so schlecht damit um? Ich verstehe das nicht, es ist doch egal, an welchen Gott man glaubt. Wieso hassen Menschen einander? Wieso werden Waffen produziert? Wir haben selber Verfolgung erlebt, seitdem habe ich Angst vor Moslems, aber im persönlichen Kontakt lösen sich meine Sorgen auf. Ich mag den Besitzer vom Döner Lokal nebenan. Er ist tolerant. Wenn mich Menschen so akzeptieren wie ich bin, dann kann ich das auch. Als ich vor vier Jahren mein erstes Geschäft im 18. Bezirk übernommen habe, waren die Kunden sehr zögerlich, aber mittlerweile geht es sehr familiär zu und ich werde oft schon auf der Straße erkannt und begrüßt.

  • SONJA BRUNNER, Teamleiterin des Geriatrischen Tageszentrums Anton Benya

    Meine Mutter ist als Kleinkind mit ihrer Familie als Karpatendeutsche nach Österreich ge­flohen. Für mich ist das bloß ein historisches Faktum, meine Großmutter hingegen war davon sehr traumatisiert. Als sie nach zehn Jahren endlich einen österreichischen Pass bekommen hat, hat sie ihn sogar beim Einkaufen immer dabei gehabt. Alle Kinder der Familie haben jung einen Pass bekommen, auch mein Sohn. Jeder von uns ist sozusagen jederzeit reisebereit. Es ist mir nicht selbstverständlich in einem Land zu leben, das in vieler Hinsicht für seine Bewohner sorgt. Ich habe einmal versucht, nach Spanien auszuwandern, aber ich habe es so vermisst, präzise kommunizieren zu können, dass ich regelrecht geflüchtet bin. Auszuwandern ist in meinen Augen ein enormer Schritt, sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr verständlich machen zu können, stelle ich mir dramatisch vor, besonders wenn es unfreiwillig geschieht. Das Ausmaß an Angst und Ungewissheit muss enorm sein. Für mich ist Sprache ein ganz wichtiger Faktor, um sich wohlzufühlen und zuhause zu fühlen. Geborgen kann ich mich in Wien oder am Arlberg fühlen.

  • Draženka Zečević, Heimhelferin

    Meine Eltern stammen aus der bosnischen Stadt Modriča, in der Moslems, Katholiken und Orthodoxe immer gut miteinander ausgekommen sind. Meine Taufpatin ist Katholikin, ich selber bin orthodoxe Christin. Aufgewachsen bin ich in Slowenien, wo meine Eltern gearbeitet haben. Mein Mann ist in Österreich geboren, stammt aber auch aus Bosnien. Bis 2007 habe ich in Wien verschiedene Jobs gemacht. Dann hat die schwere Krankheit meiner Schwägerin, die ich täglich besucht habe, mein Interesse für sozial-medizinische Berufe geweckt. Als Heim­helferin kann ich mich weiterbilden, es ist ein sehr abwechslungsreicher Beruf, ich kann Menschen unterstützen und ihnen Freude bereiten. Obwohl wir alle perfekt Deutsch sprechen, fühlen wir uns nicht wirklich als Österreicher. Das ist schon in Slowenien so gewesen. Meine Freunde sind alle Bosnier, dabei lebe ich sehr gerne in Österreich. Die Lebensqualität, die Schulen, das Einkommen und die medizinische Versorgung sind hier viel besser als in Bosnien und mich faszinieren die österreichische Kultur und die Sehenswürdigkeiten. Ich würde nie nach Deutschland oder in die Schweiz auswandern wollen. Meine Eltern leben in Bosnien, deshalb wird es wohl immer meine Heimat bleiben. Bei meinen Kindern wird es eines Tages vielleicht anders sein.