• Fremd bin ich gekommen

    Ausstellung in 1180 Wien

    Ich möchte daran erinnern, dass Wien wie alle Städte dieser Welt durch Migration entstanden ist und sich durch Migration ständig weiter entwickelt. Im 16. Jahr­hundert verglich der Dichter Wolfgang Schmeltzl Wien wegen seines Sprachengewirrs mit dem bibli­schen Babel. Wiens Architektur, Speisen, Kunst und Wissen­schaft sind durch die Symbiose von Altem und Neuem, Fremdem und Vertrautem entstanden.

    Mitte des 19. Jahrhunderts wurden nur 44 Prozent aller Wiener hier geboren, im Gegensatz zu 69 Prozent im Jahr 2017. Heute hat rund die Hälfte der Wiener Migra­tions­hinter­grund. Die meisten Zuwanderer kommen aus der Türkei, Serbien und Deutschland, in Währing stammen die meisten von ihnen aus Serbien und Montenegro. Ursprüng­lich war Währing haupt­sächlich ein Weinbau­gebiet, und wurde ab dem 18. Jahrhun­dert von immer mehr gebildeten mittelständischen Bürgern und Beamten besiedelt. Ob es an der höheren Bildung liegt oder einfach nur Zufall ist, es hat wäh­rend der Nazizeit in Währing auffallend viel Wider­stand gegen die Naziherrschaft gegeben. Sei es von „Christlich-Sozialen“ wie den Ursulinen, den Barmherzigen Schwestern und dem Kaplan Heinrich Maier, der die Maier-Messner-Caldonazzi Wider­standsgruppe gegründet hat. Oder von Juden wie den Widerstandskämpfern Franzi Löw und René Hajek und der kritischen Journalistin Else Feldmann. Sie alle haben für Menschlichkeit gekämpft, viele von ihnen haben im Wider­stand ihr Leben verloren.

    Diese Zahl ist im Vergleich zu früheren Flüchtlings­wellen überschaubar, doch die Ausländerfeindlichkeit nimmt heute sowohl in den Medien als auch in der Politik einen immer hetzerischeren Ton an. Das ist eine bedrohliche Entwicklung, denn die größten Gräuel­taten der Geschich­te begannen immer mit der Aus­­gren­zung bestimmter Bevölkerungsgruppen und endeten im Zweiten Weltkrieg mit dem Mord an sechs Millionen Juden und Roma. Unter den Opfern wie unter den Tätern waren viele Wiener und Wienerinnen.

    Deshalb ist es ein Gebot der Stunde, aufmerksam zu bleiben und sich nicht von Angstmache anstecken zu lassen. Ich lade Sie mit dieser Ausstellung ein: lernen wir die sogenannten Fremden, die alten und die neuen, in unserem Bezirk kennen. Helfen wir mit, dass Wien eine lebendige, freie und sich weiter ent­wickeln­de Stadt bleibt.

  • YANXIA NOVOTNY, Germanistin, Fremdenführerin und kaufmännische Angestellte

    Yanxia bedeutet auf Chinesisch „Schwalbe in der Morgenröte“. Ich bin in der Nähe von Hongkong geboren und habe dort meinen österreichischen Mann kennen gelernt, der wie ich ein Reisebüro hatte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich das Gefühl gehabt, nach einer 28 jährigen Reise endlich heim­gekommen zu sein. Deutsch habe ich schon lange vorher gut gesprochen. Ich glaube, das ist das Wichtigste in einem neuen Land. Ich finde die Österreicher sehr offen und spüre nicht den geringsten Fremdenhass. Leider ist Wien nicht mehr so durchmischt wie früher. Als Ausländerin ist es nicht so leicht, einen guten Job zu bekommen, deshalb bin ich bald nach der Geburt unserer Kinder arbei­ten gegangen. Ich glaube, Arbeit ist die Vor­- aussetzung, um in einem Land heimisch zu werden. Wenn ich einen reichen Mann hätte und nicht arbeiten müsste, wäre ich kein glücklicher Mensch. Ich will Leistung bringen und unabhängig sein. Das können wir Mao danken, vor ihm haben Frauen in China nichts zu sagen gehabt. In China sind heute Frauen oft stärker als Männer, auch wirt­schaft­lich. Obwohl ich 100prozentige Chinesin bin, ist Österreich meine Heimat.

  • THUY HANG HOANG, Diplomierte Krankenschwester im Palliativbereich

    Ich bin in Hongkong geboren. Dort hat meine Familie auf der Flucht aus Vietnam eine Rast eingelegt. Sie sind mit vielen anderen zusammengepfercht auf einem Boot übers Meer dorthin gekommen. Es gibt in der Familie eine gewisse Scheu, darüber zu sprechen, und ich will mit meinen Fragen keine schmerzhaften Emotionen wecken. 2012 bin ich mit meinen Eltern das erste Mal nach Vietnam gefahren. Obwohl mein Vater kaum mehr sehen kann, hat er sich während unserer Zugfahrt an alle Details seiner letz­ten Fahrt erinnert. Ich habe als Kind viele vietnamesische Freunde gehabt. Das Asiati­sche wie ich es in meiner Familie erlebt habe, ist mir zu einengend gewesen. Ich habe viel Strenge erfahren. Man muss freund­­lich und höflich sein und die Eltern ehren, aber es geht dabei mehr um ein Bild, das man nach außen zeigt, als um eine innere Überzeugung. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob ich Österreicherin oder Vietnamesin bin. Später habe ich das dann erweitert auf die Frage, ob ich Europäerin oder Asiatin bin. Heute fühle ich mich als Europäerin. Wenn ich als Krankenschwester in eine Wohnung komme, machen mir viele Menschen Komplimente über mein gutes Deutsch. Für mich grenzt das an Beleidi­gung. Ich bin doch kein kleines Kind, das man loben muss.

  • TIMNA BRAUER, Musikerin

    Mein Vater stammt aus Ottakring. Sein Vater ist ein assimilierter Jude gewesen, ein Sozia­list wie seine moderne Wiener Frau. Er ist nicht geflohen, er hat an die Menschlichkeit und den Fortschritt geglaubt. Er ist im KZ ermordet worden. Mein Vater hat den Krieg im Schrebergarten seines Onkels versteckt überlebt. Er hat als Neunjähriger den Juden­stern tragen müssen. Hitler war es, der ihn zum Juden gemacht hat. Meine Mutter ist in Israel geboren, ihre Eltern stammen aus einer strenggläubigen jüdischen Gemeinde im Jemen. Ich bin multikulturell und multi­religiös aufgewachsen und das Hauptmotiv für meine Friedensarbeit ist es, eine Brücke zu bauen zwischen dem Gegensätzlichen, zwischen der verschleierten Oma und der sozialistischen FKK Großmutter. Hinzu kommt, dass ich als Israelin den Palästinen­sern gegenüber dauernd ein schlechtes Ge­wissen habe. Ich singe Mozart auf Ara­bisch und habe mit katholischen Mönchen sakrale Musik auf Hebräisch und Latein ge­macht. Ich bin überzeugt, dass meine Musik zu heilen vermag, weil sie über das Herz geht und nicht bedrohlich ist. Sie lässt ein neues Gefühl entstehen. Das Neue ist das Globale, es lässt alle Seiten zu. Ich habe Hoffnung, dass es funktioniert.

  • SANDRA PELZMANN, Englischprofessorin auf der Universität

    Meine Mutter ist Kolumbianerin, mein Vater Burgenländer und ich bin in New York auf die Welt gekommen. Als ich sechs Jahre alt gewesen bin, sind wir nach Kottingbrunn in Niederösterreich gezogen. Ich habe unsere kolumbianische Großfamilie sehr vermisst. Damals hat eine Einsamkeit begonnen, die ich vorher nicht gekannt habe. In den USA hat es keine Zäune zwischen den Häusern gegeben. Als ich einmal bei der kotting­brunner Nachbarin hinein spaziert bin, hat sie sich bei meiner Mutter beschwert. Das ist ein Kulturschock gewesen. Ich habe als Erwachsene zwei Jahre in Tennessee unter­richtet, einem sehr konservativen Bundes- ­staat in den USA, aber die Menschen dort sind offen und freundlich und dadurch habe ich mich zuhause gefühlt. In Österreich wird Freundlichkeit oft als anbiedernd und Offenheit als Schwäche abgetan. Meine syrischen Nachbarn sind mir in dieser Hinsicht viel ähnlicher als die Österreicher. Manchmal bin ich unsicher, wie ich mich verhalten soll, gerade auch als Lehrerin. Ich muss mich hier mehr anstrengen, um ich selbst zu sein. Das Schöne ist, dass ich mir im 18. Bezirk eine internationale Community aufbaue. Sie entspricht meiner Idealvor­stel­lung einer Welt, in der das Zusammenleben verschiedener Nationali­täten und Kulturen eine Bereicherung und keine Bedrohung darstellt.

  • SAMIRA NIL KAYA, Gymnasiastin und Teilzeitverkäuferin in der Modeboutique X Ray

    Meine Mutter ist in Deutschland geboren, sie hat einen sudanesischen Vater und eine italienische Mutter. Mein Vater kommt aus der Türkei und hat griechische und bulgari­sche Wurzeln. Zuhause sprechen wir Deutsch und Türkisch. Für mich ist Heimat der Ort, wo die engste Familie und die Freunde sind und wo ich mich wohl fühle. So gesehen habe ich zwei Heimaten, Wien und die Türkei. Heute gibt es mir ein Gefühl von Stärke, mehrere Wurzeln zu haben, aber in der Volksschule bin ich oft traurig gewesen, weil ich nicht wie meine Freunde am Wochen­­ende meine Familie gesehen habe. Ich habe mich oft gefragt, wo meine Heimat ist, in der Türkei, in Italien oder in Öster­reich? Seitdem ich das erste Mal habe wäh­len dürfen, fühle ich mich immer mehr als Österreicherin. Ich finde, man sollte seine Herkunft, seine Religion und seine Kultur nicht verleugnen, wenn man in ein fremdes Land kommt, aber sich gleichzeitig auch anpassen. Durch meine Herkunft ist die Welt für mich größer. Manche Klassenkameraden haben komische Vorurteile gegenüber Ausländern. Zurzeit werden bestimmte Bevölkerungsgruppen wie die Moslems ausgegrenzt. Das ist traurig und es ist ein Schritt zurück. Ich finde, dass man in der Schule viel zu wenig über andere Länder, Religionen und Kulturen lernt und dadurch bilden sich Schüler keine eigene Meinung.

  • PORNTHIP AMON, Köchin im Kaffee Schopenhauer

    Ich bin in einem kleinen Dorf in Thailand geboren worden, meine Eltern sind Reisbauern gewesen. Nach der Schule habe ich immer sehr viel gearbeitet, denn ich habe mit meinem kleinen Gehalt meine Eltern unterstützen müssen. Bei uns in Thailand ist die Familie die Nummer eins, wir lieben einander. Hier in Österreich ist das ganz anders. In dem Hotel in dem ich gearbeitet habe, habe ich meinen jetzigen Mann, einen Österreicher, kennengelernt. In Wien habe ich Deutsch gelernt, danach eine Kochlehre gemacht und seit eineinhalb Jahren bin ich hier im Kaffee Schopenhauer Chefköchin. Es gefällt mir, dass in Österreich immer gegrüßt wird, wenn man ein Geschäft betritt und Frauen und Männer gleichgestellt sind. Wenn mein Mann mir heute sagt, ich soll etwas machen, was ich nicht will, dann antworte ich ihm, dass ich zwar Tailänderin bin, aber jetzt hier lebe und das mache was ich für richtig halte. Wenn jemand mich fragt, ob ich Ausländerin bin, dann liebe ich es zu sagen, dass ich Wienerin bin. Ich würde mich nie als Österreicherin bezeichnen. Manche Gäste, besonders ältere Frauen, grüßen mich nicht zurück. Aber die meisten sind sehr freundlich und ich fühle mich an meinem Arbeitsplatz wohl. Wir sind hier eine richtige Familie.

  • PETRA PAWLISKA, Sekretärin und Nuad Praktikerin

    Ich bin in Wien geboren, meine Mutter stammt aus Tschechien. Unter meinen Vor­fahren gibt es Russen und Polen und mein jüdischer Großvater hat die Nazis nur über­lebt, weil ihn seine österreichische Frau versteckt hat. Wir haben nie viel darüber geredet. Mein tschechischer Großvater ist früh gestorben und um meine schönen Kindheitserinnerungen nicht zu verlieren, fördere ich das Tschechische wie ein Stück Ursprung. Ich habe Kultur und Sozialanthro­pologie studiert und gelernt, dass in vielen Kulturen, die Verbindung mit den Ahnen eine Rolle spielt. Seit ich denken kann, beschäf­tigt mich das Thema der Identität. Wo ich geboren bin, da komme ich her, also bin ich Wienerin. Aber nicht ausschließlich, sondern mit Facetten, die ich mir erhalten möchte, weil sie mir Grenzen öffnen und mich träu­men lassen. Zum Beispiel davon, eines Tages in das Geburtshaus meiner Mutter nach Brünn zu ziehen. Bevor meine Tochter Ludomilla geboren worden ist, habe ich eine große Unruhe in mir gehabt. Ich glaube, das hat viel mit diesem Unterwegssein zwischen zwei Heimaten zu tun. Als ob mir eine Sache alleine nicht ausreichen könnte. Ich war immer auf der Suche. Das ist neben der Un­ruhe auch eine Form von Freiheit gewe­sen, weil ich mir dadurch größere Räume geschaffen habe.

  • OLUWAFEMI OLADEJI, Atemtherapeut und Shaolin Mönch

    Meine Eltern sind in den frühen 60er Jahren aus Nigeria nach London gezogen. Groß­britannien ist ein Alptraum gewesen. Der britische Rassismus entspringt einem Übelegenheitsgefühl, das aus ihrer kolonialen Vergangenheit über Jahrhunderte gewach­sen ist. Der österreichische Rassismus kommt aus der Angst vor dem Fremden. Damals hat es Aufkleber auf Geschäften gegeben auf denen gestanden ist: „Keine Schwarzen, keine Hunde, keine Iren“. Ich habe nie gewusst, wie man auf mich rea­gieren wird und bin zu einem Schau­spieler geworden, der ganz schnell Rollen improvi­siert, um die jeweilige Situation zu meistern. Vor einem Jahr bin ich hier im Zug tätlich angegriffen worden. Da sind viele Traumata aus meiner Kindheit aufgebrochen. Zum Glück hat mir mein Vater beigebracht, mir selbst und meinen kleinen „Ichs“ zu ver­zeihen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, um innerlich zu wachsen. Hier fühle ich viele Elemente des nationalsozialistischen Geistes, aber ich konzentriere mich auf mein per­sön­liches Wachstum und meide unangenehme Situationen. Ich habe kein Zuhause, ich finde es in mir. Meinen Kindern gebe ich auf ihrem Lebensweg mit, zu sich zu stehen und sich nicht kategorisieren zu lassen. Sie sind nicht schwarz, sie sind Menschen.

  • MOHAMMAD SLEMANI, Polstermöbeltapezierer

    Meine Familie stammt ursprünglich aus Palästina, aber schon meine Eltern sind in Syrien als Flüchtlinge geboren worden. Wir sind bis heute staatenlos. Vor vier Jahren bin ich mit meinem Bruder und meiner Frau nach Österreich geflohen, weil der Krieg bis nach Damaskus vorgedrungen ist. Während unserer Hochzeit am 30. März 2011 ist um uns geschossen worden. Wir haben sieben Tage lang auf einem kleinen Boot das Meer überquert, um Italien zu erreichen. Es war schrecklich. Mein Bruder ist nach Schweden gegangen und hat sehr bald die Staats­bür­gerschaft bekommen. Ich warte noch immer auf meinen Asylbescheid. Aber ich mag Österreich, ich glaube noch immer nicht, dass es ein Fehler gewesen ist, hierher ge­kommen zu sein. Es gibt ein Lied über das schöne Wien, das mir mein Großvater vor­gespielt hat, das vergesse ich nicht. Meine Mutter hat mir beigebracht, dass ich etwas Gutes zurückgeben muss, wenn ein Land gut ist zu mir und noch nie war ein Österreicher rassistisch mir gegenüber. Nur im Internet lese ich manchmal komische Sachen über Flüchtlinge. Wir Palästinenser haben unser Land verloren und brauchen eine Staats­bürgerschaft. Unsere Tochter Julia ist hier geboren und als ich begriffen habe, dass sie nicht die österreichische Staatsbürgerschaft bekommt, bin ich sehr traurig gewesen.

  • KEMAL KARA, Koch bei Karma Ramen

    Meine Eltern stammen aus der Türkei, ich selber bin in Wien geboren. Die jährlichen Besuche in der Türkei sind aufregend und exotisch für mich gewesen, aber heimisch habe ich mich dort nie gefühlt. Die Türkei ist der Ort, wo meine Wurzeln sind, meine Heimat ist Wien. Ich habe gegen den Wunsch meiner Eltern eine Österreicherin geheiratet, denn ich habe die klassische Art und Weise der inoffiziellen türkischen Hei­ratsvermittlung verabscheut. Meine öster­­reichischen Freunde haben mich dies­bezüglich sicher sehr geprägt, denn in traditionellen türkischen Familien hast du als Kind nicht zu widersprechen. Viele leben noch nach diesen Regeln, auch wenn die Grenzen zwischen der türkischen und der österreichischen Mentalität bei vielen all­mählich verschwinden. Für mich als Mann war die Befreiung leichter als für eine Frau. Eine türkische Frau hat mir viel gravieren­deren Konsequenzen zu rechnen, wenn sie sich gegen den Willen von strengen Eltern auflehnt. In Wien bin ich mir nie fremd vorgekommen. Ich denke, man ist immer nur so fremd, wie man es zulässt, dass andere einen sehen. Wenn du dunkelhäutig bist, ist es sicher schwerer, da brauchst du hier wohl eine dicke Haut. Rassistische, ignorante Menschen werden leider nie aussterben.

  • HAYAT KRISTAL, Hausfrau, ausgebildete Sekretärin

    Ich bin in einem Dorf in der Nähe von Marrakesch geboren und habe Sekretariat und Management studiert. 2003 bin ich nach Italien gegangen, um weiter zu studieren. Ich habe Italien sehr gemocht, gut Italienisch gesprochen und dort auch kein Kopftuch getragen. Zurück in Marokko habe ich be­schlossen, es zu tragen, denn ich bin älter geworden und halte es für richtig. Ich respek­tiere Muslima, die es nicht tragen und Menschen aller anderen Religionen. Es geht mir um die persönliche Freiheit. Von mir aus kann einer auch unbekleidet gehen. In Marokko habe ich meinen jetzigen Mann kennen gelernt. Er hat damals schon in Wien gelebt und es hat drei Jahre gedauert, bis ich die Dokumente für die Einreise nach Österreich bekommen habe. Damals habe ich sehr gelitten. Hierher zu kommen ist hart für mich gewesen. Ich kann die Sprache noch nicht gut und viele Menschen sind aggressiv. Aber es gibt auch sehr nette Leute hier. Manche Frauen lächeln mich in der Straßen­bahn an, obwohl ich ein Kopftuch trage, dann freue ich mich sehr. Sobald es möglich ist, möchte ich arbeiten gehen, denn ich will kein Geld vom Staat nehmen. Am liebsten würde ich Kindergärtnerin werden. Jetzt bin ich in Wien zuhause, weil mein Mann da ist und wir hoffentlich hier Kinder bekommen werden.

  • GEORGI NDIKUMANA, Elektromechaniker, Sozialarbeiter und Kellner im äthiopischen Restaurant Lalibela

    Meine Mutter stammt aus Ruanda, ich bin in Bujumbura in Burundi geboren. Ich habe dort eine schöne Kindheit gehabt. Ein paar Jahre habe ich in Moskau verbracht um zu studieren und bin dann wieder nach Hause zurückgekehrt. Ich mag die Russen, sie lieben ihre Familie und sind sehr gastfreund­lich. Keiner isst dort, ohne dich einzuladen. Das ist wie in Afrika. Während des Krieges zwischen Hutu und Tutsi ist mein Vater ge­tötet worden und wir Kinder sind ge­flüch­tet. Ich bin 2002 nach Traiskirchen gekom­men und habe bald als Übersetzter gearbei­tet. Ich spreche Französisch, Russisch und Kiswahili. Dann habe ich eine Ausbildung zum Sozialarbeiter gemacht. Offen be­schimpft hat mich nie jemand, nur diese abschätzige Haltung von Fremden, die spüre ich oft. Im Kaffeehaus schauen sie mich manchmal an, als ob ich ein Bettler wäre. In Burundi sind wir zu Weißen besonders nett. Ein Fremder ist bei uns automatisch ein Gast, egal ob er arm ist oder reich. Wenn ich ein­mal Österreicher bin, werde ich Öster­reich verteidigen, aber ich werde nie ver­­gessen, woher ich komme. In der Pension werde ich das Winterhalbjahr in Burundi verbringen und mich um meine 200 Rinder kümmern. Dann werde ich in den beiden Ländern leben, die mir etwas bedeuten.

  • FATMA YAGCI, Diplomierte Krankenschwester und Stations­leiterin im Evangelischen Krankenhaus

    In meinem Heimatdorf in der Türkei habe ich eine sehr schöne Kindheit gehabt. Mit neun Jahren nach Wien zu kommen ist schlimm gewesen für mich. Ich habe große Sehnsucht gehabt und jeder Brief von daheim hat mich zum Weinen gebracht. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal in Wien so wohl fühlen würde. In der Schule bin ich die einzige Türkin gewesen, meine Mitschülerinnen haben sich um mich gekümmert und mit mir gelernt. Heute kann man von so etwas nur träumen. Und doch fangen jetzt, in der dritten Generationen von Gastarbeitern viele Junge zu studieren an. Darauf bin ich sehr stolz. Ich trage erst seit drei Jahren das Kopftuch. Meinem Mann ist das egal. Jeden Tag fahre ich mit dem Bus und helfe oft Frauen mit Einkaufstaschen oder Kinder­wägen, und dann werden auch diejenigen freundlich, die mich vorher komisch ange­schaut haben. Mein Traum ist es, Menschen zusammen zu bringen. So wie ich unsere Leute kenne, würden sie alten einsamen Menschen im Gemeindebau gerne helfen. Man spricht viel über Integration, aber mir scheint, die Österreicher selbst lassen es wenig zu. Österreich ist meine Wahlheimat geworden, aber ich denke, so wie sich die Stimmung zur Zeit gegen Ausländer verän­dert, ist vielleicht eines Tages hier kein Platz mehr für uns. So wie in den 30er Jahren für die Juden kein Platz mehr war.

  • EYAD ARAFAT, Informatiker, Koch im Vapiano

    Meine Eltern sind Palästinenser aus dem Gazastreifen, ich bin in Kuwait aufgewach­sen. Wir haben uns dort nicht als Ausländer gefühlt. Während des irakischen Angriffs 1990 auf Kuwait, sind wir gerade zu Besuch in Syrien gewesen und haben nicht mehr zurück fahren können. Der Wechsel ist schrecklich gewesen für uns, wie von Ameri­ka nach Russland auszuwandern. Ich bin Informatiker, aber als Palästinenser habe ich keinen Pass und habe weder ein eigenes Geschäft noch eine Wohnung oder ein Auto kaufen dürfen. Da habe ich beschlossen, nach Europa auszuwandern. Ich brauche eine Staatsbürgerschaft, um wieder zurück nach Syrien zu gehen und dort als gleichberech­tigter Mensch zu leben. Aber ich habe noch immer keinen Pass. Ich weiß nicht, wo mein Zuhause ist. Kuwait ist meine Kindheit, Syrien meine Jugend. In Wien habe ich beides gefunden: die Altstadt erinnert mich an Syrien und der 22. Bezirk schaut aus wie Kuwait. Der Gazastreifen wird für mich immer Heimat bleiben, denn Mutter ist Mutter. Ich liebe Syrien, ich liebe Kuwait und ich mag Österreich. Ich hoffe, dass der Tag kommen wird, an dem ich sagen kann, dass ich Österreich liebe.

  • ERIKA NAVAS, Bildende Künstlerin

    Ich bin in Mexiko City geboren, meine Mutter ist Wienerin und ist mit meinem kleinen Bruder nach Wien zurückgekehrt, als ich drei Jahre alt war. Mein Vater ist Mexikaner mit indianischen Wurzeln. Er war ein Erfinder und hat sich wenig um die Familie geküm­mert, ich bin praktisch als Straßenkind auf- gewachsen. Mit sechs Jahren bin ich nach Wien zu meiner Mutter und meinem Bruder übersiedelt. Nach der Freiheit auf der Straße musste ich mich an die Enge eines Zimmers, das andere Essen, das kalte Klima und die wollenen Strumpfhosen und Rollkragenpullis gewöhnen. Ich bin bewegungslos dage­ses­sen und habe gezeichnet, um die kratzige Kleidung zu ertragen. Automatisch habe ich mich mit Außenseitern solidarisiert, war mit dem mongoloiden Buben und dem Mädchen im Rollstuhl aus unserer Nachbarschaft befreundet. Ich habe mich nie zu einer be­stimmten Gruppe zugehörig gefühlt und mich nie als ganz normal empfunden. Bis 17 war ich Mexikanerin und habe weder Schul­bücher, Schülerausweis noch Stipendien erhalten. Ich weiß, wie es sich anfühlt, aus­gegrenzt zu werden, und wehe, jemand redet in meiner Anwesenheit rassistisch daher. Für mich als Kostümbildnerin ist das Kopftuch eine Möglichkeit sich zugehörig zu fühlen. Ein Statement. Alle Menschen sind in meinen Augen gleich viel wert, deshalb male ich sie nur nackt.

  • EMIL DIMITROV, Besitzer eines Obst- und Gemüsestandes am Kutschkermarkt

    Ich bin in einer bulgarischen Kleinstadt aufgewachsen, wo meine Mutter Arbeiterin in einer Zuckerfabrik und mein Vater LKW-Fahrer ist. Nach der Matura und dem Mili­- tär­dienst bin ich nach Österreich gegangen, weil ich in Bulgarien keine gute Arbeit gefunden habe. Für mich ist hier alles anders, die Menschen sind elegant und höflich. Nur waren die Österreicher vor acht Jahren zu Ausländern viel freundlicher als heute. Ich finde es selbst auch nicht gut, dass so viele Polen und Rumänen herkom­men, das gehört viel strenger kontrolliert. Im 11. Bezirk, wo ich wohne gibt es sehr viele Ausländer, vielleicht 70 %* das ist mir nicht angenehm. Hier im 18. Bezirk, wo ich arbeite, gibt es mehr Österreicher, das gefällt mir. Ich bin Bulgare und fühle mich auch als einer, aber wenn ich von dort aus dem Urlaub komme, freue ich mich auf Öster­reich. Ich habe vor drei Jahren den Markt­- stand übernommen. Ich stehe jeden Tag um drei Uhr früh auf und arbeite 15 Stunden am Tag. Meine Frau und ich wollen unsere bulga­rische Staatsbürgerschaft nicht aufgeben, aber wenn es in Österreich möglich wäre, würden wir sofort um die Doppelstaats­bürgerschaft ansuchen.

    *Laut Statistik Austria leben im 11. Bezirk 24 % Ausländer (Stand 2017).

  • ARIEL OHEV-AMI, Sicherheitsberater

    Ich wurde in Jerusalem geboren. Nach dem Militärdienst bin ich als Offizier in das Anti­terror-Kommando gegangen und habe auf der ganzen Welt gearbeitet. Dadurch ist es für mich kein Problem gewesen, mich zu integrieren, als ich 1999 meine Frau kennen gelernt habe und nach Wien gezogen bin. In Israel wirst du mit ein paar Wörtern Heb­räisch schon gefeiert, während du in Öster- reich mit schlechtem Deutsch als Mensch zweiter Klasse behandelt wirst. Ich halte es für falsch, der Sprache so eine immense Wichtigkeit zu verleihen. Das Annehmen der Kultur, der Gesetze und der Mentalität scheint mir viel wichtiger zu sein. Ich finde es zum Beispiel unmöglich, wenn ultraortho­doxe Juden ihre Frauen im Bus hinten sitzen lassen. Menschen sollten lieber mehr auf das schauen, was sie verbindet. Auf meinen vielen Reisen habe ich erlebt, dass wir alle sehr ähnliche Gefühle und Bedürfnisse haben. Wir brauchen alle Essen, Trinken, Gesundheit, das Gefühl dazu zu gehören, sicher zu sein und das eigene Leben gestal­­­ten zu können. Mein Zuhause ist da, wo ich alle diese Bedürfnisse erfüllen kann, das kann die ganze Welt sein. Ich vermisse Israel nicht, es ist mein Fundament. Die anderen Stockwerke meiner Persönlichkeit sind durch die Orte, in denen ich gelebt habe, durch die Menschen, die ich kenne, und die Erfahrun­gen, die ich mit ihnen gemacht habe, entstanden.